trusted: Wir sprechen heute mit Andreas Poell, einem zertifizierten Datenschutzbeauftragtem und KI-Manager mit jahrelanger Erfahrung als Führungskraft im Marketing. Wir reden darüber, wie Marketing-Teams in Zeiten von KI und DSGVO die richtige Software auswählen können und Andreas gibt praktische Tipps, welche Tools er für welche Use-Cases empfehlen würde.
Andreas, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast! Als Datenschutz- und KI-Experte hast du ja eine spannende Doppelrolle. Der Markt für Marketing-Software wächst zur Zeit wieder enorm und der Hype um Künstliche Intelligenz eröffnet viele neue Chancen. Gleichzeitig scheint die Auswahl der passenden Tools für Marketing-Teams komplexer denn je, auch wegen der strengen DSGVO. Würdest du das so unterschreiben?
Andreas Poell: Vielen Dank für die Einladung! Und ja, tatsächlich ist die Tool-Auswahl heute eine Herausforderung. Ich erhalte immer mehr Anfragen zu neuen und vermeintlich vielversprechenden Tools; ob man sie risikofrei nutzen kann, wofür man sie nutzen kann, etc. Die Möglichkeiten sind mit KI ja fast grenzenlos geworden. Aber man muss eben auch genau hinschauen, damit man vor lauter Innovation und Spannung nicht den Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen verliert.
trusted: Wie navigiert man durch dieses Minenfeld; was rätst du Marketing- und Führungskräften?
Andreas Poell: Kurz und knapp: Rechtssicherheit sollte immer Vorrang vor Innovation haben. Es geht nicht nur darum, sich für neue Technologien zu begeistern, sondern die datenschutzrechtlichen Leitplanken richtig zu setzen. Ich würde dazu raten, die Rahmenbedingungen genau zu prüfen und die Tools auf ihre Datenschutzstandards abzuklopfen.
Das macht die Sache ja so komplex, denn da muss man – je nach Einzelfall und Use Case – eine ganze Menge beachten: Welche Daten werden verarbeitet, zu welchem Zweck und auf welcher Basis? Wo werden die Daten gehostet und gibt es dafür eine ausreichende Rechtsgrundlage? Gibt es Funktionen wie die Pseudonymisierung von Daten? Sind die Technischen und Organisatorischen Maßnahmen (TOMs; Anmerkung d. Redaktion) im Auftragsverarbeitungsvertrag beschrieben? Und so weiter.
Bei Bedarf holt man sich jemanden dazu, der beratend zur Seite stehen kann. Das ist im Grunde, was ich tue: Ich begleite Teams aktiv beim Transformationsprozess, von der ersten KI-Strategie bis zur rechtssicheren Implementierung.
trusted: Aber warum diesen komplexen Prozess überhaupt anstoßen? Was steckt da für Marketing-Teams drin, wo liegen die Chancen? Gerade in Hinblick auf die Risiken?
Andreas Poell: Die größten Chancen sehe ich ganz klar in der Effizienzsteigerung durch KI-Automatisierung und Personalisierung – und zwar im großen Maßstab! KI kann Marketing-Teams von repetitiven Aufgaben entlasten und uns dabei helfen, Muster in riesigen Datensätzen zu erkennen, die einem Menschen niemals auffallen würden. Da gibt es einiges, wo uns die KI unterstützen kann: z.B. bei der Analyse, bei der Segmentierung von Kundenlisten nach komplexen Kriterien, der Auswertung von Kampagnen oder dem automatischen Lead-Scoring; im Content-Bereich hilft KI dabei, Textvarianten für A/B-Tests zu erstellen, Titles und Metadaten anzupassen oder große Bildarchive zu verschlagworten. Etc. pp.
Aber damit kommt eben auch ein Risiko, nämlich da, wo wir diese sensiblen Daten verarbeiten: z.B. beim CRM und bei der Marketing Automation. Hier fließen alle personenbezogenen Daten zusammen. Tools wie HubSpot oder Salesforce/Pardot haben ganz beeindruckende Funktionen für automatisches Lead-Scoring und Sales-Empfehlungen. Da werden dann personenbezogene Daten und Verhaltensdaten verarbeitet, mit historischen Mustern abgeglichen und Leads eine Punktzahl zugeordnet. Ab einem gewissen Schwellenwert wandert der Lead automatisch als “Sales Qualified” an den Vertrieb. Im Grunde eine automatisierte Einzelfallentscheidung, die rechtliche Konsequenzen für die betroffene Person haben kann.
Daher ist das auch die absolute Königsdisziplin im Datenschutz! Bevor Teams auch nur einen einzigen Datensatz zur KI-Analyse freigeben können, müssen Legal und Marketing gemeinsam jede Funktion der Tools bis ins Detail verstehen. Es muss geklärt werden: a, wie das Scoring-Modell genau funktioniert, b, mit welchen Daten die KI trainiert wird und c, ob sie ausschließlich automatisierte Entscheidungen auf Basis der Daten trifft. Das sieht die DSGVO in den meisten Fällen sehr kritisch und mit dem AI Act wird sich die Bewertung solcher automatisierten Prozesse noch verschärfen! Transparenz über die KI-Funktionen ist hier das A und O und das muss alles vertraglich geklärt sein.
Wenn diese Transparenz fehlt oder im Team kein Bewusstsein für die Problematik oder keine Ressourcen für die Prüfung da sind, dann ist die Einführung eines neuen Tools eine Gratwanderung, auf der man schnell abrutschen kann. Und das bedeutet dann: Mehr Zeit für die Implementierung, höhere Kosten.
trusted: Wie kann man diese Risiken am besten umschiffen? Sollten Teams vielleicht ausschließlich auf etablierte Player aus Europa setzen um ganz sicher zu gehen? Hier müsste die DSGVO ja ganz automatisch mit verankert sein, oder?
Andreas Poell: Teilweise würde ich das so unterschreiben. In Bereichen wie dem Performance Marketing und SEO gibt es mit LLMs (Large Language Models; Anmerkung d. Redaktion) gerade eine enorme Dynamik. Täglich kommen neue Anbieter auf den Markt, mit innovativen und neuen Ansätzen für GEO (Generative Engine Optimization; Anmerkung d. Redaktion) oder das Content Monitoring.
Ob das alles koscher im Sinne der DSGVO ist, ist schwer zu durchschauen. Daten, die für sich alleine nicht personenbezogen sind, können es in Kombination sein – z.B. IP-Adressen und Verhaltensdaten von Suchanfragen. Bei Anbietern aus Drittländern besteht dann einfach die Gefahr, das dortige Gesetze den Zugriff auf Daten z.B. durch staatliche Stellen ermöglichen, ohne dass das europäische Schutzniveau gewährleistet ist.
Gerade hier würde ich Budgets also nur sehr vorsichtig einsetzen und lieber auf etablierte Tools mit Europa- bzw. Datenschutzbezug setzen.
trusted: Fallen dir spontan passende SEO- und Monitoring-Tools ein?
Andreas Poell: Ich denke an SISTRIX. Die haben ihren Firmensitz in Deutschland und hosten ihre Daten ausschließlich in Europa, was uns eine extrem hohe Datenschutz-Sicherheit gibt.
Das heißt aber nicht, dass nicht auch Anbieter außerhalb der EU rechtssicher eingesetzt werden können. Semrush ist ein globaler Marktführer, der seinen Sitz zwar außerhalb der EU hat, sich aber intensiv mit der DSGVO auseinandersetzt und entsprechende Prozesse bereitstellt. Hier muss man dann eben genauer auf die AV-Verträge schauen und die rechtlichen Rahmenbedingungen ggf. individuell vertraglich regeln.
Ob aus Europa oder nicht: Ein AVV ist immer wichtig und muss die Grenzen und Pflichten der Datenverarbeitung klar festlegen. Das reicht von detaillierten TOMs über den Drittlandtransfer bis hin zur Regelung von Subunternehmen, die ggf. auch mit den Daten arbeiten müssen.
Wie gesagt geht es vor allem um Transparenz. Wenn klar ist, wie das Tool und/oder die KI meine Daten verarbeitet und zu welchem Zweck, kann man sich auch außerhalb der EU umschauen. Wer da Unsicherheiten hat, der bleibt erstmal bei europäischen Playern – oder holt sich eben Unterstützung ins Boot.
trusted: Gehen wir mal vom Content Monitoring in die Contenterstellung. Populäre KI-Tools wie ChatGPT oder Canva sind hier in vielen Teams schon unverzichtbar geworden – haben ihren Sitz aber in den USA. Wie geht man damit um?
Andreas Poell: Der Schlüssel ist hier die Trennung der Daten. Das ist wichtig zu verstehen: Nur, weil man einem Tool keine sensiblen Daten anvertrauen würde, kann man es natürlich trotzdem nutzen – man vertraut ihm dann halt keine sensiblen Daten an. Oder ganz konkret ausgedrückt: Für Marketing-Inhalte wie Blog-Posts, Social-Media-Captions oder Bild-Assets können Tools wie ChatGPT und Canva jederzeit genutzt werden; solange dort niemals personenbezogene Daten oder kritische Geschäftsgeheimnisse verarbeitet werden.
Und man kann die Sicherheit intern noch weiter erhöhen. Wir z.B. regeln das über zwei Schritte: Erstens gibt es einen gesonderten Unternehmens-Account, der nur beruflich genutzt wird – private und persönliche Chats haben dort nichts zu suchen; zweitens deaktivieren wir alle Learning-Features, damit Unternehmensdaten nicht für das Training der LLMs herangezogen werden – sofern das möglich ist. Das ist eine Technische und Organisatorische Maßnahme, die leicht zu implementieren ist und die intern mit der IT und der Rechtsabteilung abgestimmt werden kann.
Es geht also auf keinen Fall darum, Tools wie ChatGPT, Canva und Co. zu “verbieten”, sondern die Tools bewusst, aufgeklärt und sicher zu nutzen.
trusted: Ein weiterer wichtiger Marketing-Bereich ist der Dunstkreis um PR, Brand Marketing und Social Media Marketing. Welche Tools können hier unterstützen und wo liegen die Chancen und Risiken?
Andreas Poell: In diesen Bereichen sind die Risiken tatsächlich kleiner, weil hier in der Regel keine persönlichen, sondern öffentlich zugängliche Daten analysiert werden. Trotzdem würde ich auch hier eher zu europäischen Anbietern raten; nicht so sehr aus Datenschutzgründen, sondern wegen der Datenlage. Einem deutschen Unternehmen bringt es ja nichts, eine riesige Datenbank mit Journalist:innen und Artikeln aus den USA zu haben, wenn sie die eigene Markenwahrnehmung im DACH-Raum analysieren wollen.
Meine Tipps dazu: Meltwater für PR und Media Intelligence; SocialHub für Social Media Management. Meltwater ist ein globaler Player mit europäischen Ursprung und quasi eine Schnittstelle zu öffentlich zugänglichen Journalisten- und Ersteller-Datenbanken, mit transparenten DSGVO-Prozessen. Das Tool sammelt und analysiert öffentliche Daten zur Markenwahrnehmung und zu Wettbewerbsaktivitäten, gerne auch mit KI. Das sorgt für das extra Bisschen Reaktionsgeschwindigkeit. Und SocialHub ist ein ganz ausgezeichnetes deutsches Tool für das Social Media Management! Die KI fungiert hier als Assistenz und unterstützt z.B. bei der Optimierung von Posting-Zeitpunkten oder moderiert Kommentare. Datenschutzkonform und mit ISO-zertifizierten Servern in Deutschland. Das bietet das Höchstmaß an Sicherheit für das Social-Media-Management und die Team-Kommunikation.
Aber, wichtig: Unabhängig vom Tool gibt es auch hier Rahmenbedingungen; weniger zum Datenschutz, aber ganz massiv zum Thema Copyright. Mitarbeiter:innen, die diese Tools nutzen, sollten geschult werden, wenn es um das Urheberrecht von KI-generierten Assets wie Bilder, Videos oder Ton geht. Die KI kann Rechtsverletzungen unfassbar schnell verbreiten, wenn das Team nicht in dieser Hinsicht sensibilisiert ist.
trusted: Gibt es noch weitere Tools die du empfehlen kannst oder hast du noch einen abschließenden Ratschlag für Marketing-Teams, die sich tiefer in die Themen KI und Datenschutz reinfuchsen wollen?
Andreas Poell: Ja, als Tool kann ich noch Pipedrive als europäische CRM-Alternative vorschlagen, wenn HubSpot oder Salesforce zu heikel erscheinen.
Und abschließende Ratschläge? Eher konkrete Empfehlungen an alle, die in das KI-Thema einsteigen wollen. Erstens: Implementiert Tools bewusst und sicher; macht keinen Schnellschuss oder lasst euch von Werbeversprechen und tollen Features ködern, sondern geht die Sache strategisch an! Zweitens: Investiert in die kontinuierliche Schulung eures Teams im Umgang mit Datenschutz, Daten und Urheberrecht! Und Drittens: Zieht lieber früher als später externes Fachpersonal dazu, das als Brückenbauer agieren und die rechtskonforme Implementierung sicherstellen kann.
Zum Schluss kann ich nur sagen, der Einsatz von KI im Marketing ist bereits heute mehr oder weniger unvermeidbar. Das wird sich auch nicht mehr ändern. Der Erfolg liegt in der risikobewussten und rechtskonformen Umsetzung.
trusted: Vielen Dank Andreas für diese einleuchtenden und praxisnahen Einblick und für deine Tipps!
Interviewpartner: Andreas Poell
Andreas Poell (M.Sc.) ist Experte für Marketing-Transformation und Begleiter für Tech-Unternehmen, die ihre Marketingfunktionen zukunftssicher skalieren wollen. Mit über 15 Jahren Erfahrung im Performance Marketing und Management kennt er die Herausforderungen der digitalen Transformation genau. Als KI-Manager (TÜV) und zertifizierte Fachkraft für Datenschutz (DEKRA) agiert er als Brückenbauer und unterstützt Teams dabei, rechtskonform und innovativ zu bleiben. Diese Rollen füllt er als Interim Manager und KI-Berater in anspruchsvollen Tech-Organisationen aus.





